Die Regenwälder des Amazonas sind weltweit für ihre Artenvielfalt berühmt. Sie erstrecken sich von der Atlantikküste Brasiliens bis an die Anden im Westen des Kontinents, damit handelt es sich um den größten zusammenhängenden Regenwald auf der Erde. Arten sind jedoch auch hier nicht gleichmäßig verteilt und so finden sich selbst in diesem Quell des Lebens regelrechte Hotspots der Artenvielfalt und der Biodiversität. Biodiversität bedeutet „Vielfalt des Lebens“, geht also über die klassische Artenvielfalt hinaus und schließt neben der reinen Anzahl von Arten weitere Aspekte des Lebens mit ein z.B. Variationen innerhalb einer Art oder Vielfalt von verschiedenen Organismengruppen.
Die Madre de Dios Region im Südosten Perus ist einer dieser Hotspots, aber nicht nur irgendeiner, denn die Regenwälder dieser Region am Fuße der Anden gelten als der artenreichste Ort der Welt. Nirgendwo sonst hat sich das Leben in solch einer Vielfalt ausprägen können.
Hier gibt es zehnmal mehr Reptilien und Amphibien als in Deutschland, ca. 10% aller Vogelarten der Welt lassen sich hier beobachten und auf einem Hektar Wald kann man mehr Baumarten finden als in ganz Europa, um nur einige Beispiele zu nennen. Warum sind die Wälder Westamazoniens so besonders vielfältig?
Evolution und somit die Entstehung neuer Arten brauchen ein paar Faktoren, um eine hohe Vielfalt hervorzubringen. Zunächst mal darf die Aussterberate nicht höher sein als die Rate, in der neue Arten entstehen. Wichtig dafür ist ein stabiles Klima, wir wissen heutzutage, dass Klimawandel das Aussterben von vielen Arten hervorrufen bzw. beschleunigen kann. Es gab jedoch auch natürliche Klimawandel in der Erdgeschichte, wie die verschiedenen Eiszeiten. Während die gemäßigten Zonen der Welt durch das wandelnde Klima immer wieder vergletscherten und so Arten verdrängt oder ausgerottet wurden, blieben die feuchtwarmen Tropen entlang des Äquators tatsächlich recht unbeeinflusst. Hier herrschte selbst während der Eiszeiten ein feuchtwarmes Klima. Das bringt uns auch schon zum nächsten Faktor für eine hohe Biodiversität: Wärme. Nimmt man es ganz genau, dann ist Evolution eine extrem langsame und komplexe chemische Reaktion, die von Mutationen an der DNA vorangetrieben wird. Man erinnert sich, damals in der Schule haben wir gelernt, dass chemische Reaktionen bei höheren Temperaturen schneller ablaufen, das bedeutet tatsächlich, dass Evolution in wärmeren Gebieten etwas schneller ablaufen kann und sich Arten hier schneller entwickeln können. Wir halten also schonmal fest: Die Tropen haben ein sehr stabiles Klima und eine dauerhaft hohe Temperatur, welche Stoffwechselprozesse und damit schlussendlich Evolution etwas beschleunigt. Das erklärt aber noch nicht, warum gerade die Regenwälder Westamazoniens so artenreich sind. Das Leben an sich braucht nämlich noch mehr Faktoren, und Zutaten und eine der wichtigsten ist Wasser. Das Leben ist im Wasser entstanden und alles was lebt braucht Wasser.
Wenige Orte auf der Welt sind so reich an Süßwasser wie Amazonien, es ist das mit Abstand größte Flusssystem der Erde und bekommt enorme Mengen Niederschlag über seine ganze Fläche. Aber tatsächlich entstehen alle großen Flüsse Amazoniens in den Anden, an deren Hängen die meisten Niederschläge fallen. Westamazonien hat also alle Grundzutaten für eine große Menge an Leben: Wasser, hohe Temperaturen und ein stabiles Klima, dazu kommt noch eine hohe Sonneneinstrahlung, welche die Pflanzen brauchen um Photosynthese zu betreiben und so die Nahrungsgrundlage für alle anderen Lebewesen zu schaffen. Nachdem also all diese Grundvoraussetzungen geben sind, gilt es noch einen wichtigen Faktor zu besprechen und das ist die Biodiversität an sich, also die Vielfalt des Lebens. Eine hohe Biodiversität ist förderlich für das Entstehen einer hohen Biodiversität, das Stichwort lautet: Interaktion. Ein ganz wichtiger Treiber von Evolution sind die Interaktionen von Lebewesen, z.B. Räuber-Beute Beziehungen oder die Konkurrenz zwischen zwei Arten, die z.B. beide Früchte fressen, aber auch das zusammenarbeiten von Arten, z.B. die Beziehung einer Feigenwespe mit dem Feigenbaum, wo jede Feigenart nur von einer ganz bestimmten Feigenwespenart bestäubt wird. Kurzum, Arten konkurrieren, jagen sich oder arbeiten zusammen und das drückt sich in der Evolution aus indem sich Arten aneinander anpassen. Das Ganze ist also ein Schneeballeffekt, denn genau wie ein Schneeball, der den Hang runter rollt und schneller wächst je größer er ist, desto schneller verändern sich Arten je mehr Interaktionen sie haben. Je mehr Arten vorhanden sind, desto mehr Interaktionen gibt es auch und desto mehr Vielfalt entwickelt sich. Die Wälder Westamazoniens, und vor allem der Madre de Dios Region, sind also die Spitze der Vielfalt auf Erden, weil es hier seit Jahrmillionen die perfekten Bedingungen für Evolution gibt. Im stabilen, aber auch optimalen Klima konnten sich viele Arten in Ruhe entwickeln, diese interagieren alle miteinander und haben sich im ewigen Wettrüsten der Evolution immer mehr spezialisiert und in immer mehr Facetten des Lebens entwickelt, ohne, dass drastisch veränderte Umweltbedingungen sie störten.
Das Ganze ist übrigens die stark vereinfachte Version und die Forschung arbeitet derzeit immer noch daran, genau zu beantworten, warum Artenvielfalt in den Tropen so viel höher ist und warum man die größte Vielfalt im Westen Amazoniens vorfindet. Abgesehen von der genauen Antwort auf diese Frage steht jedoch eines fest: Dass es nirgendwo auf dem Planeten Leben in so großer Vielfalt gibt, und deswegen auch nirgendwo sonst die Gefahr so eine hohe Biodiversität zu verlieren. Eine Artenvielfalt, deren ganze Existenz auf ein über Jahrmillionen stabiles Klima basiert, ist besonders anfällig für rasche Veränderungen der Umwelt, wie wir Menschen sie auszulösen pflegen.
Der Erhalt dieser Regenwälder ist nicht nur die Verantwortung der Länder in denen er sich befindet, sondern ist Teil unseres gemeinsamen Naturerbes, welches in der Verantwortung eines jeden Menschen liegt, denn der Verlust Amazoniens würde alles Leben auf der Welt beeinflussen.