StartseiteNews Auge in Auge mit dem Küstenwolf
Fabian Mühlberger ist Biologe, Naturfotograf und aktiv im Naturschutz. Im Interview berichtet er von seiner Begegnung mit einem wilden Küstenwolf, warum es so wichtig ist, auf Porcher Island Natur zu schützen, und wieso man beim Toilettengang keinem Bären begegnen möchte.
Seit 2018 bereichert er unsere Arbeit ehrenamtlich mit seinem umfangreichen Wissen, seiner Erfahrung und seinen hochqualitativen Bildern, bspw. bei der Einschätzung potentieller Naturschutzflächen. Im Juli 2019 war er Teil des kleinen WI-Team Expeditionsteam, das auf Porcher Island nach dem Rechten gesehen und neue Schutzgebiete ausgekundschaftet hat. Im Rahmen der Reise war er acht Tage allein auf der Insel, um ungestört die Tierwelt vor Ort zu beobachten.
Ich will Biodiversität bewahren, und dafür muss man bestehende Lebensräume schützen. Und Urwälder sind mit das wichtigste Habitat, weil sie am längsten Zeit brauchen um sich zu entwickeln. Außerdem gefällt mir, dass das Konzept bei Wilderness ganz einfach und transparent ist: wir schützen ganz direkt Urwälder, da ist nichts verkompliziert.
Das Highlight überhaupt war es natürlich, den Küstenwölfen zu begegnen, dem Star von Porcher Island überhaupt. Für mich war es aber auch besonders, mal aus der Komfortzone rauszukommen, als ich mich auf Porcher Island alleine hab aussetzen lassen.
Der Wolf war mit Abstand das beeindruckendste Erlebnis. Aber auch den Rhythmus der Natur kennenzulernen fand ich sehr spannend. Mit Ebbe und Flut zu leben, zum Beispiel, und zu beobachten, wie die Tiere darauf reagieren. Ich konnte immer beobachten: da kommt wieder der Mink (Nerz), oder auch wie morgens die Rehe an den Strand kamen. Es war ziemlich cool, einfach als stiller Beobachter da zu sein. Die Tiere sind nicht so, dass sie einen Menschen sehen, und dann panisch wegrennen. Wenn man sich ruhig verhält, machen sie einfach ihr Ding, das ist noch richtig Wildnis.
Zwischen Moosen, Flechten und Farnen hat Fabian sein Camp aufgeschlagen.
An sich war es ein entspannter Trip. Aber am Anfang musste ich mich erstmal orientieren. Das war schon ein krasser Moment, als ich auf einem Stein ausgesetzt wurde und dann ist das Boot abgehauen. Am ersten Abend hat es eine Weile gedauert bis ich mich zurechtgefunden habe, bis ich eine gute Campstelle hatte und sauberes Trinkwasser. Ich bin zwar viel allein in der Natur, aber nicht so, dass ich auch allein campe. Es war das erste Mal, dass ich komplett alleine so weit weg von allem war.
Ruhe und Geduld. Wie David (MacDonald) immer sagt, man muss erstmal in der Natur zur Ruhe kommen, sich zurücklehnen. Ich habe gelernt, mit dem Rhythmus der Natur der zu leben. Und die ganzen kleinen Sachen zu bemerken, den Rhythmus der Tiere. Die Minks waren meine heimlichen Favoriten auf der Insel. Die sind einfach total niedlich, so ungestört auf ihrer Krabbenjagd. Ich habe mehrere der Tiere gesehen an verschiedene Strandabschnitten. Jede Bucht hat ihren eigenen kleinen Mink, der bei Ebbe rausgekommen ist. Aber ich hab mich schon auch sehr gefreut als Euer Boot aus dem Nebel gefahren kam und ich mich mit jemand unterhalten konnte, auch wenn ihr ein bisschen zu früh kamt und mich beim Baden unterbrochen habt.
Ein Nerz stellt seiner Leibspeise nach: Seeohren.
Ich wurde jeden Morgen von den Weißkopfseeadler geweckt. Die haben über meinem Zelt in dem Riesenlebensbaum geschlafen und morgens immer gerufen. Es war ziemlich schön, jeden Morgen davon geweckt zu werden. Und die Minks haben mich gut unterhalten. Und natürlich die Suche nach dem Wolf: die Suche nach Spuren, und nach toten Tieren, die angespült wurden. Dann das stundenlange Warten. Und dann war plötzlich der Wolf einfach da. Ich saß da mit meinem Camouflage Pulli hinter der Kamera, die Kapuze über dem Kopf. Und als ich aufgeschaut ab, hab ich ihn gesehen. Der hatte gar keine Angst, war einfach nur komplett neugierig, und man hat gemerkt, dass wir beide etwas verwirrt waren. Er kam aus dem Wald, ist dann direkt auf mich zu und ganz nah rangekommen, war vielleicht eine Minute da und ist dann weiter am Strand entlang gelaufen.
Nein, Angst hab ich keine gehabt. Aber es war auf jeden Fall Adrenalin pur, ich war aufgeregt, mein Herz voll am Pumpen. Das Tier war halt null aggressiv, das hat man ihm sofort angemerkt, dass er keine Bedrohung darstellt.
Nein, das war mein erster Wolf überhaupt. Ich hatte in anderen Teilen der Welt schon Spuren gefunden und sie Heulen gehört, aber gesehen hatte ich noch keinen. Aber das war auf jeden Fall die beste erste Begegnung, die man haben kann.
Naja, ich finde es vor allem so besonders, weil der Mensch so eine Jahrtausende alte Geschichte mit dem bösen Wolf hat. In fast jeder Kultur gibt es so eine Geschichte. Deswegen ist er ja auch in den meisten Gebieten schon ausgerottet. Auch in Kanada darf man sie abschießen, es gibt nicht mal eine Quote. In British Columbia will man jetzt sogar 80% der Wölfe erschießen lassen. Angeblich, um die Waldrentiere zu schützen, das ist meiner Meinung nach aber völliger Quatsch. Der Wolf hat also immer noch einen super schlechten Ruf. Wolf und Mensch hatten schon immer so eine enge Beziehung, das ist spannend. Er wurde als Konkurrent gesehen, teilweise immer noch. Diesen Stellenwert haben wenig Tiere, meistens sind sie Beute oder Nutzvieh, aber ein Tier so auf Augenhöhe als Konkurrenten zu sehen ist meiner Meinung nach super selten. Und dann trifft man einen Wolf mitten in der Wildnis, und der ist einfach ganz lieb.
Die Wölfe fangen diese seltenen Rentiere zwar, aber der Grund warum die Rentiere so selten sind, ist die Habitatzerstörung und die Zerschneidung von Lebensräumen. Die Waldrentiere sind auf die alten Wälder angewiesen, die voller Flechten sind, das brauchen sie zum Überleben. Weil die Wälder niedergemacht werden und nicht mehr vernetzt sind, sodass die Rentiere von einem guten Waldstück zum anderen kommen können, das ist der Grund, warum die Rentiere so selten sind. Da hilft es auch nicht, wenn man jetzt die Wölfe umbringt. Sondern man muss einfach die Lebensräume wieder vernetzen und aufhören, gute Habitate zu zerstören. Das ist der Grund warum die Rentiere so selten sind, und nicht weil die Wölfe sie fressen.
Ja, es war zum Beispiel ziemlich toll, den Sonnentau zu entdecken, eine fleischfressende Pflanze, die dort im Sonderstandort Moor wächst. Besonders irre fand ich, dass es die gleiche Art ist, wie wir sie auch in Deutschland haben. Man kann einfach in den Harz gehen und findet dort den gleichen rundblättrigen Sonnentau. Es gibt ja auch den langblättrigen Sonnentau, aber der ist in Deutschland extrem selten. Das liegt vor allem daran, dass die Moore zerstört werden, und die sind sein Spezialhabitat. Fleischfressende Pflanzen wie der Sonnentau holen sich durch die Insekten Bonus-Nährstoffe. Denn Moore sind ja extrem nährstoffarme Standorte, deswegen muss die fleischfressende Pflanze Fleisch fressen, um sich die Nährstoffe zu holen, die im Boden nicht vorhanden sind. Der Sonnentau ist deswegen auch ein wichtiger Indikator dafür, dass der Lebensraum noch vorhanden und gut ist. Wenn die Moore verschwinden ist das eine extreme Katastrophe, weil sie eine besonders wichtige CO2-Senke fürs Weltklima sind. Deswegen finde ich es auch immer so erschreckend, wenn man in den Baumarkt geht, und fast jede Blumenerde Torf enthält. Der wächst in Mooren, und braucht Jahrhunderte bis Jahrtausende um zu entstehen. Dafür müssen riesige Flächen Moor zerstört werden.
Sonnentau ist eine seltene fleischfressende Pflanze, die im Moor lebt
Im Süden wachsen natürlich größere und höhere Bäume, auch wenn es die gleichen Arten sind wie ein paar hundert Kilometer weiter nördlich. Dann gibt es im Norden noch weniger Laubbäume, im Toba wachsen ja richtig viele Ahörner. Besonders ist auf Porcher Island die abwechslungsreiche Moorlandschaft, wo sich der Wald sich mit den baumfreien Mooren abwechselt. Dann feheln auf der Insel natürlich die Grizzlys und Schwarzbären, obwohl sie im Norden schon vorkommen, aber die kommen nicht rüber auf Insel. Wobei, tatsächlich hat man auch schon Schwarzbären von Insel zu Insel schwimmen sehen. Dafür konnte ich total viele Otter und Minks beobachten, die sind im Toba versteckter. Die Otter muss man einfach mögen. Der nordamerikanische Fischotter, der frisst vorwiegend Fische und Krabben. Aber es gibt auch Seeotter, das sind die, die auf dem Rücken schwimmen und Muscheln aufknacken oder Seeigel jagen. Deshalb können die beiden Arten auch im gleichen Habitat vorkommen, weil sie unterschiedliche Nahrungsquellen haben. Wir haben während einer Wanderung entlang der Ebbefelsen einen Fischotter gesehen, der sich eine Scholle oder Flunder gefangen und dort verspeist hat.
Blick ins Tobatal, 200 km nördlich von Vancouver Island
Das kommt durch die Fischotter. Die jagen im Meer, fressen teilweise auch im Meer. Aber gerade solche Mahlzeiten wie die Muscheln und Schnecken, die ein bisschen schwieriger zu knacken und zu essen sind, die nehmen die Otter mit in den Wald, denn da haben sie ihre Bauten. Oft sind diese Otterburgen, wie man sie auch nennt, von vielen Ottern bewohnt und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Die Otter jagen im Meer, flitzen dann schnell über den Strand in den schützenden Wald, denn an der Küste sind sie natürlich leichte Beute für die Wölfe, und im Schutz des Dickichts des Walds können sie dann in Ruhe ihre Meeresfrüchte genießen.
Nisi at ac aliquam Weil das ein ganz spezieller, einzigartiger Lebensraum ist, nicht nur Porcher, sondern generell die Inseln, die der Küste vorgelagert sind. Das ist ein weltweit einzigartiges Ökosystem. Die Küstenwölfe beispielweise gibt es eben nur an genau dieser der Küste. Und dann konnte man ja schon beim Einflug in Prince Rupert die Kahlschläge sehen, dass dort flächendeckend Urwälder abgeholzt werden.
Ich fahr da ja nicht zum Spaß hin, sondern um Natur zu dokumentieren. Und das auch ästhetisch schön. Damit man nicht nur die Bäume sieht, sondern um all die vielen Lebewesen zu zeigen, die in diesem Ökosystem drin sind. Ich will helfen, dass mein Bildmaterial die Leute überzeugen kann, dass es gut ist was wir da machen. Wie so viele Tiere noch komplett menschenfremd in der Wildnis leben können. Diese „Wildnis-Ecke“ möchte ich den Leuten in Deutschland und auch anderswo präsentieren.
Extrem wertvoll. Zum einen durch die Moore. Und weil es sich um Primärhabitat handelt, komplett ungestörte Habitate, mit extrem wenig bis keinem Einfluss vom Menschen. Das ist ein Ökosystem, wie es sich über Jahrtausende entwickelt hat. Mehr ökologischer Wert geht nicht. Sobald menschlicher Einfluss dazukommt, verschwinden Arten. Im Moment haben die Gebiete den höchsten ökologischen Wert, den es geben kann. Den würden sie durch Einfluss sofort verlieren. Wenn man die Natur dort nicht schützt, kann es nur bergab gehen.
Ja das ist natürlich was ganz besonderes, wenn man im Gebiet von großen Raubtieren ist. Bei den Wölfen hatte ich da keine Bedenken. Die brechen nichts auf, um an Nahrung zu kommen. Aber die Bären brechen ja beispielsweise Baumstämme auf, um an Insekten zu kommen. Die sind es gewöhnt, etwas zu öffnen, um ranzukommen. Das hat man natürlich vor Augen während so einer Expedition. Ab im Notfall muss man ja immer nur schneller laufen als der Langsamste (lacht). Außerdem waren wir eine große Gruppe, da hatte ich keine Bedenken. Wobei Ronny ja beim Toilettengang einen gesehen hat. Das war auch immer der gruseligste Moment auf der Expedition, von der Gruppe entfernt, so ganz wehrlos mit der Hose um die Knöchel, da denkt man sich, jetzt will ich wirklich keinen Bären sehen. Bei Ronny verlief zum Glück alles friedlich, der Bär hat sich nur aufgestellt, geschaut, und ist dann wieder weg.
Seine Bilder und Berichte über die Erlebnisse mit wilden Tieren könnt ihr auf seiner Facebook-Seite und auf Instagram (@fabian_photography) verfolgen.
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