StartseiteNews Peru 2025 - Schlaflos, überwältigt, aber glücklich!
“Bald geht es wieder nach Peru!”
Dieser Satz geht immer mit langen To-Do-Listen, chaotischen Arbeitstagen und jeder Menge Planungsstress einher. Allerdings ist da auch immer dieses Funkeln in den Augen, denn keine:r der Mitreisenden kann es erwarten, endlich wieder (oder endlich einmal) vor einem Urwaldriesen zu stehen und den umliegenden Regenwald zu hören, zu riechen und zu fühlen. Für mich geht es zum ersten Mal in unsere Schutzgebiete - und ich kann es kaum erwarten!
Wenn wir unsere Schutzgebiete und das Team unserer lokalen Schwesterstiftung besuchen, sind wir meistens für 1-2 Wochen vor Ort – eine ziemlich kurze Zeit, wenn man bedenkt, wie viele Aufgaben und Ziele irgendwie unter einen Hut gebracht werden müssen, um unsere Zeit dort möglichst effizient zu nutzen.
Diesmal haben wir uns Folgendes vorgenommen:
Schon Wochen vorher ist alles wuselig, alle sind aufgeregt und in schier endlosen Meetings werden Pack- und Equipmentlisten, Aufgabenverteilung, Zeitpläne, Reiserouten und die Pläne B, C, D besprochen – denn vor Ort entscheiden die Natur und das Wetter, was funktioniert! Alles, was wir tun können, ist alle Mitreisenden bestens auf ihre individuellen Aufgaben vorzubereiten. Ein entspannter Urlaub wird das definitiv nicht.
Schon die Ankunft im Secret Forest ist abenteuerlich!
Jede:r, der:die zum ersten Mal in unseren Schutzgebieten dabei ist, soll den Wald wirklich erleben. Mit all seinen Geräuschen, Gerüchen, Farben und Texturen (wobei man natürlich super vorsichtig sein sollte, was man im Regenwald anfasst). Und das am Besten ohne Smartphone.
Da stehen wir nun, gejetlagged und müde – wie viele Stunden sind wir eigentlich schon unterwegs? – zum ersten Mal mitten im Regenwald. Und kommen aus dem Staunen nicht heraus. Mir steigen die Tränen in die Augen. Kompletter Overload – emotional und mental. Da unten das Gewusel von tausenden Blattschneideameisen, die geerntete Blätter in ihren Bau zurück tragen; der laute Ruf irgendeines Vogels, der so ganz anders klingt als bei uns zu Hause; und über uns eine kleine Gruppe Kapuzineraffen, die uns mit Ästen bewerfen. Der Regenwald steckt einfach voller Leben – und das ist es, was wir schützen wollen! Deswegen sind wir alle hier.
Zum ersten Mal den Wald erleben - ein unbeschreibliches Gefühl.
Im Verlauf der nächsten Tage schauen wir uns unsere Schutzgebiete an und lernen dabei viele verschiedene Facetten des tropischen Regenwaldes und die Arbeit unseres Teams vor Ort kennen. Der überwiegende Teil des Waldes im Amazonasgebiet ist immergrüner tropischer Feuchtwald – der “typische” tropische Regenwald. In der Nähe des Flusses kommen wir allerdings auch hin und wieder in sogenannte “Überschwemmungswälder”, in denen das Wasser jetzt, am Ende der Regenzeit, stellenweise noch so hoch steht, dass uns auch unsere Gummistiefel nicht davor bewahren, nass zu werden. Doch das ist völlig egal. Stundenlang erkunden wir, begleitet von Forscher:innen und Waldhüter:innen, unsere Schutzgebiete und versuchen, das vermittelte Wissen aufzunehmen.
Auf Kapuzineraffen treffen wir häufiger. Die kleinen Kerlchen sind ganz schön frech!
Ein besonderes Highlight ist der etwa 40 Meter hohe Canopy-Tower. Beim Aufstieg können wir die verschiedenen Ebenen des Regenwaldes endlich auf Augenhöhe betrachten – theoretisch. Ich habe mehr damit zu tun, meine Höhenangst zu überwinden. Angekommen auf der Plattform befinden wir uns auf einer Ebene mit den imposanten Baumkronen – nur die gigantische Lupuna, der beeindruckendste Baum, den ich je gesehen habe, überragt uns noch immer. Hier oben sehen wir viele der Vögel, die wir schon seit mehreren Tagen hören, zum ersten Mal. 60-90% der Artenvielfalt des Regenwaldes halten sich in den Baumkronen auf – jetzt wird diese Zahl zum ersten Mal greifbar.
An diesem Ausblick kann man sich einfach nicht satt sehen ...
Der Regenwald schläft nie – und unsere Forscher:innen und Waldhüter:innen scheinbar auch nicht. Bleibt ja auch keine Zeit, wenn der Tag morgens um 4:30 h mit Vogelbeobachtung beginnt und abends um 23 h mit Fledermausforschung endet. Genau so sieht dann auch unsere Agenda aus, denn wir nutzen die Zeit, um das Team vor Ort so oft wie möglich bei der Arbeit zu begleiten.
Unsere Waldhüter:innen brechen für gewöhnlich schon früh auf, um jeden Tag die verschiedenen Bereiche unserer Schutzgebiete zu kontrollieren. Wir dürfen Stefany und Xiomara auf ihrem Rundgang begleiten. Unterwegs halten wir Ausschau nach Anzeichen für illegale Aktivitäten, kontrollieren, ob die Abgrenzungen unserer Schutzgebiete (zum Beispiel Grenzsteine und Schilder) noch intakt sind oder erneuert werden müssen und zeichnen die Sichtungen von Tieren in einem Biodiversitätsdatenblatt auf. Diese Ausflüge sind wirklich keine Spaziergänge! Das Terrain ist uneben, die schmalen Pfade zum Teil stark bewachsen, und gegen Mittag wird es auch unter dem schützenden Blätterdach immer heißer. Die zwei wichtigsten Grundregeln haben wir schnell verinnerlicht: Niemals allein losziehen und immer genug Wasser trinken!
Auch in unserem Team vor Ort gibts ganz schön viel Women Power!
Mindestens genauso früh startet der Tag von Chris Ketola, Head Field Research Coordinator bei WI. Morgens Vogelbeobachtung, abends Fledermausforschung, Kaimantransekte oder Nachtwanderungen, auf denen er nach weiteren Reptilien und Amphibien Ausschau hält. Die Tiere, die er findet, begrüßt er wie alte Freunde – “Hey, Buddy!” – und behandelt sie extrem behutsam. Man merkt Chris in jeder Sekunde an, wie sehr er den Regenwald und all seine Bewohner liebt. Einige wissenschaftlich relevante Tiere werden sorgsam untersucht, gewogen, vermessen und eventuell für den Fall einer erneuten Begegnung markiert. Die gesammelten Daten, die auch in eine internationale Datenbank fließen, helfen uns, Erkenntnisse über die Artenvielfalt in unseren Schutzgebieten zu gewinnen. So können wir Trends und Entwicklungen erkennen, Rückschlüsse auf die Gesundheit des Ökosystems und die Wirksamkeit unserer Arbeit ziehen – und euch genau berichten, wer in den von euch geschützten Gebieten lebt.
Chris arbeitet Tag und Nacht mit Vögeln, Fledermäusen, Kaimanen und weiteren Reptilien und Amphibien.
Chris Ketola weiß genau, wie man mit den empfindlichsten Bewohnern des Regenwaldes umgeht.
Die Vogelforschung hilft uns, das Vorhandensein und den Bestand von Arten in unseren Schutzgebieten zu bestimmen.
In unseren Schutzgebieten leben über 100 Fledermausarten!
Auf unserem Nightwalk ist uns diese Brasilianische Wanderspinne begegnet - einer der giftigsten Spinnen im Regenwald.
Bei Kaiman-Surveys nimmt Chris morphologische Messungen vor und sammelt Gewebeproben für ein laufendes Quecksilberprojekt.
Für mich ein besonderes Highlight: Capybaras nachts am Fluss!
Was sind Transekte?
Ein Transekt ist ein Satz von Mess- bzw. Beobachtungspunkten entlang einer geraden Linie. Transekte werden methodisch in wissenschaftlichen Disziplinen verwandt, um einen räumlichen Bezug zu dem untersuchten Gegenstand herzustellen. Transekte werden oft bei Felduntersuchungen (Kartierung) und – so wie bei uns – in der Ökologie (Botanik und Zoologie) genutzt.
Auch Nadine Holmes, Mammal Research Coordinator, ist immer früh auf den Beinen. Das liegt allerdings nicht nur an ihrer Arbeit, sondern auch an ihrer kleinen, süßen Tochter Hyla, die das ganze Forschungscamp auf Trab hält. Auf ihren Transekten erforscht Nadine z.B. Jaguare, Tapire, Pekaris und Co. Unterstützt wird sie bei ihrer Arbeit von Kamerafallen, die in unseren Schutzgebieten verteilt sind. So können wir ziemlich genau sagen, welche Säugetierarten im Secret Forest ein Zuhause haben. Erst kürzlich haben wir eine Jaguarmutter mit zwei Jungtieren ganz in der Nähe der Forschungsstation aufgezeichnet! Einige Tiere wie das niedliche Paka, ein kleines Nagetier verwandt mit unseren Meerschweinchen, sehe ich auf den Aufzeichnungen tatsächlich zum ersten Mal.
Nadine untersucht Säugetiere in unseren Schutzgebieten. Dabei helfen ihr besonders unsere Kamerafallen.
Nadine beim Anbringen von Kamerfallen.
Die Auswertung der Bilder fördert so einige Highlights zutage.
Zum Beispiel dieser Große Ameisenbär (Myrmecophaga tridactyla) ...
Oder ein kleines Paka (Cuniculus paca), das nachts vorbeischleicht.
Bei unseren Projekten vor Ort geht es auch um Umweltbildung, zum Beispiel für Schulkinder. Stolz erzählt uns Ana-Paula Bezzolo, eine unserer Waldhüterinnen, von ihrem Umweltbildungsprojekt, in dessen Rahmen sie bereits an mehreren Schulen die Arbeit von Wilderness International vorgestellt hat, und den Kindern zahlreiche Gründe vermittelt hat, warum wir den Regenwald und seine Bewohner unbedingt schützen müssen. Ein paar Klassen haben bereits unsere Forschungsstation besucht. Aktuell befindet sich ein “Grünes Klassenzimmer” im Bau, direkt neben der Waldhüter:innenstation. Unser Ziel ist es, dort in Zukunft regelmäßig Schulklassen zu empfangen.
Ana-Paula klärt die Schüler:innen auch über die verschiedenen Bewohner des Regenwaldes auf - und wie man ihnen begegnet.
Natürlich haben wir auch auf unserer Agroforst-Versuchsfläche vorbeigeschaut. Viele der Pflanzen, die während der letzten Expedition gepflanzt wurden, überragen uns bereits, und es dauert sicher nicht lange, bis die Açai-Palmen erste Früchte tragen. Ein Stück weiter dürfen wir gemeinsam mit Forstwissenschaftler Šimon Hrbek und Botanikerin Gabriela Veneros Zerpa selbst Hand anlegen und Kakao sowie zwei verschiedene Palmenarten pflanzen. Die Versuchsfläche dient dazu, herauszufinden, welche Pflanzen gut nebeneinander wachsen können und voneinander profitieren und welche Insekten von welchen Pflanzen angezogen werden. Dieses Wissen teilen wir mit den Communities, die an unserem Projekt teilnehmen. Mehr dazu erfahrt ihr hier.
Katha und Christina von DIAMIR pflanzen einen kleinen Kakao-Baum.
Doch natürlich besteht das Camp nicht nur aus Forscher:innen und Waldhüter:innen. Dazu kommen zahlreiche Volunteers aus aller Welt, die das Team unterstützen, die Bootsfahrer, die sich um den Transport von Personen und Vorräten kümmern – Straßen sucht man hier vergebens – und Bladi, unseren genialen Koch und die vermutlich wichtigste Person im Secret Forest! Egal zu welcher Zeit wir aufgestanden sind, frischer, leckerer Kaffee stand immer bereit! Das Essen ist immer lecker, ausgewogen und gibt genug Energie für die anstrengenden, langen Tage im Regenwald. Vegan, vegetarisch, alles gar kein Problem. Mir fehlen jetzt schon die leckeren Pancakes zum Frühstück, die irgendwie immer nach einem Hauch Orange geschmeckt haben …
Auch die schönste Zeit geht mal zu Ende, und so geht es auch für uns irgendwann zurück nach Deutschland. Wann genau? Keine Ahnung. Im Regenwald laufen die Uhren anders. Die Tage vergehen viel zu schnell und sind trotzdem vollgepackt mit so vielen neuen Eindrücken, dass wir gar keine Chance haben, all das in der kurzen Zeit zu verarbeiten. Auch wenn wir nicht immer alle gemeinsam unterwegs waren, hat uns die Erfahrung zusammengeschweißt. Der Wald, die Tierbegegnungen und vor allem die Menschen – jeden von uns haben die letzten Tage tief bewegt. Und ich glaube, im Herzen nimmt jeder ein Stückchen vom Secret Forest mit nach Hause.